Post-Mobile-First
Moderne Smartphones sind unglaublich energieeffiziente Geräte. Das geht mittlerweile so weit, dass ein durchschnittlicher Laptop im Vergleich dazu 20-mal so viel Strom verbraucht. Dieser extreme Unterschied markiert einen epochalen Wendepunkt mit radikalen Auswirkungen für Designer:inner und Entwickler:innen gleichermaßen und bedarf einer umfassenden Neubewertung herkömmlicher Praktiken im Bereich der Website-Herstellung.
Der aktuelle Konsensprozess lässt nur eine von zwei Workflows zu: Desktop-First oder Mobile-First. Der erste Ansatz schreibt vor, den Großteil der Design- und Code-Arbeit auf die Desktop-Version der Website aufzuwenden, alles herunterzuskalieren und erst gegen Ende zu entscheiden, was im sichtbaren Bereich überbleiben soll oder kann. Mobile-First folgt der Umkehrung derselben Skalierung-Logik vom Standpunkt des gegenüberliegenden Formfaktors. Diese beiden diametralen Modelle entstanden im Einklang mit vielschichtigen, herausfordernden technologischen Entwicklungen und wurden dabei zum endgültigen Default-Lösungsweg aller Dinge generalisiert. Seitdem hat sich unser Engagement mit dem Digitalen und Virtuellen jedoch verkompliziert, ist interaktiver, tragbarer und persönlicher geworden. Das Internet hat sein neues Zuhause auf dem Smartphone gefunden. Basierend auf Nutzungsstatistiken und kapitalistischen Anreizen gilt Mobile-First als die logische, zeitgemäße Praxis. Aber dieses Denkmodell versäumt es vollständig, kritische Aspekte der sozialen Ökologie und des Klimaschutzes als maßgebende und notwendige Beurteilungskriterien miteinzubeziehen.
Die gegenwärtigen globalen Klima- und humanitären Krisen erfordern dringend radikal neue Perspektiven, Systeme und kollektives Handeln. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen liefern in diesem Zusammenhang eine konsequente Erkenntnis: Die Internetnutzung über ein Smartphone ist viel besser für die Umwelt als der Zugriff über Tablets, Laptops oder Desktops, da Endgeräte im Durchschnitt 72% des Stromverbrauchs und bis zu 57% der Treibhausgase in diesem Prozess ausmachen. Die Daten verdeutlichen Energie- und Emissionseinsparmöglichkeiten und die vergleichbaren Vorteile einer Smartphone-basierten Nutzung des Internets: „Because phones are extremely energy efficient, data transmission accounts for more than 80% of the electricity consumption […].“ Erst ein Anerkennen dieses materiellen Unterschieds macht es möglich, die Leitprinzipien eines Projekts auf denen der Sozialen Ökologie zu begründen. Für verantwortungsbewusste Designer:innen und Entwickler:innen bedeutet das, Mobile-Only als den nachhaltigsten Weg in die Zukunft anzunehmen.
Mit diesem Perspektivenwechsel können wir die Website als Medium mit neu gewonnener Klarheit erkunden. Was bedeutet das konkret für eine kritische Gestaltungspraxis im Kontext digitaler Räume? Die Geräte, mit denen wir auf Websites zugreifen, verantworten bei weitem die meisten Treibhausgasemissionen und den höchsten Energieverbrauch als Teil der globalen Internet-Infrastruktur . Konsequenterweise sollte diese Tatsache als Beweggrund hin zu Mobile-Only von Beginn an nachvollziehbar und sinnstiftend allen Beteiligten vermittelt und in konzeptionellen, narrativen und technischen Entwicklungsphasen verstanden und implementiert werden. Der Entwurfsprozess einer Website muss sich viel konsequenter auf die (auch physischen) Eigenheiten des Smartphones – Bildschirmgröße, Helligkeit, Metadaten, lokale Kontexte, Interaktionen, … – stützen und an einen Punkt bringen, die das mobile Erlebnis zur offensichtlichsten, begehrenswertesten und relevantesten Entscheidung für alle Benutzer:innen macht. Mit der Zeit könnte das dazu beitragen, Laptop und Desktop für den alltäglichen Gebrauch des Internets vollständig abzulösen.
Ich glaube es ist an der Zeit, Websites nicht länger als Räume unbegrenzter Größe zu begreifen. Modernistische Ideen grenzenloser Superstructures bröckeln schon länger und in ihren Rissen bilden sich neue Potentiale, die uns im Smartphone das einzig zukunftsfähige Online-Habitat erkennen lassen. Gestaltung mit Haltung kann das Medium Website in frische und unverwechselbare, gerätespezifische Ausdrucksformen bringen. Responsive auf das Klima, nicht auf Bildschirmgrößen. Es ist Zeit, die bestehenden Qualitäten, Implikationen, Möglichkeiten und Kontexte die mit diesen kleinen Geräten einhergehen unter diesen herausgearbeiteten Gesichtspunkten neu zu evaluieren und zu schärfen – so wie wir es bereits mit den meisten physischen Ephemera und Artefakten tun.